Nach 2 1/2 Stunden des Zorns und des Aufrüttelns wird der Rentner Dombrowski auf einmal ganz ruhig, in sich gekehrt. Er schleudert seine Weltsicht und seine Meinung über untragbare Zustände in diesem Land nun nicht mehr dem Publikum zu, das vorher teilweise dankbar das eine oder andere Wortspiel oder einen Seitenhieb auf einen Prominenten belacht hatte, bevor es weiterging mit der zornigen Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft, wobei einem meistens nicht wirklich zum Lachem zumute war.
Nun, am Ende, ist es ein ruhiges Selbstgespräch, das dieser Rentner mit dem steifen rechten Arm und dem schwarzen Handschuh an der rechten Hand - die Paraderolle Georg Schramms - führt. In der Linken hält er einen Revolver, mit dem er vorher noch in einem brillianten Gespräch zwischen drei seiner Figuren (dem alten, desillusionierten SPD-Mitglied August und einem rheinischen, etwas blauäugigen Rentner) im Wirtshaus saß und sie zum bewaffneten Widerstand bewegen wollte. Nach einer Reihe möglicher Kandidaten, die eine Kugel treffen sollte, schlägt Dombrowski vor einen beliebigen Pharmareferenten zu erschießen. Damit bezieht er sich auf die erste Hälfte des Programms, in dem das Gesundheitssystems einen Schwerpunkt darstellte.
Doch plötzlich lässt die Wut des Rentners nach und es scheint so, als resigniere er. Sein neuer Plan ist es, sich von seiner Versicherung den genauen Tag ausrechnen zu lassen, wann seine Renteneinzahlungen aufgebraucht sind, also den Tag, an dem alles auf null steht. Die Gesellschaft schuldet ihm nichts mehr und er wird der Gesellschaft auch nicht mehr zur Last fallen. An diesem Tag will er mit Würde aus dem Leben treten. Die Waffe, die zuvor noch den Beginn eines bundesweiten Aufstands werden sollte, will er gegen sich selbst richten. Damit konterkariert er sein bisheriges Leben voller Zorn und Wut - er will ganz kostenneutral ableben.
Doch das ist doch noch nicht das (sein) Ende. Er sagt, dass er den Brief bekommen hätte, der Termin sei der Donnerstag vor der Bundestagswahl ("In diesem Jahr schon"). Wieder fängt er an, seinen zuvor beschlossenen Plan in Zweifel zu ziehen.
"Thomas Bernhard hätte geschossen" heißt Georg Schramms aktuelles Programm, das er gestern Abend in Pforzheim spielte, und es zeigt einen Kabarettisten in Hochform. Als wütenden Rentner Dombrowski, der am liebsten die ganze Republik gegen die bestehenden Verhältnisse aufbringen will, der Klartext redet und sich wundert, dass es niemanden zu kümmern scheint. Ein Hauptpunkt von Schramm ist, dass diese teils skandalösen Zustände nicht zufällig bestehen, sondern dass es immer eine Gruppe gibt, die davon profitiert.
Schramm scheut nicht vor heiklen Themen zurück. Er thematisiert den ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin-Schleyer und empört sich darüber, dass dieser nur noch als Opfer gesehen würde - seine Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus (Mitglied der Hitlerjugend ab 1931, der SS ab 1933 und der NSDAP ab 1937; aktiv in der NS-Studentenbewegung; ab 1943 Sachbearbeiter des Zentralverbands der Industrie für Böhmen und Mähren, der für die "Arisierung" der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern zuständig war) und während der Arbeitskämpfe in den sechziger Jahren vergessen würde und es ein Unding sei, eine Halle nach ihm zu benennen.
Das ist Schramm - direkt, zornig, mitreißend.
Zwischendurch blitzt allerdings eine weitere Facette in einer seiner Rollen durch: der des wirklich guten Schauspielers. Allein die Tatsache, dass er es versteht blitzartig die Rolle zu wechseln und so zweimal während des Programms ein Dreiergespräch darzustellen, ist faszinierend. Im ersten dieser Gespräche (in einem Wartezimmer einer Arztpraxis) erzählt Schramm in der Rolle des Alt-SPD-Mitglieds August von der Geschichte dessen Frau, die einen Schlaganfall hatte und nun pflegebedürftig sei. Beeindruckend gelingt Schramm hier eine tiefe Betroffenheit darzustellen, in dem er den Rentner von seinem Freund erzählen lässt, der seine Frau in ein Heim brachte, wo katastrophale Zustände herrschten. August macht sich nun Vorwürfe, dass er den Notarzt gerufen hatte - der unmittelbare Tod wäre ein würdigeres Ende für seine Frau gewesen!
Nach knapp 3 Stunden (20 Minuten Pause) ist man geschafft. Man hat viel gehört, muss viel verarbeiten und will vieles nicht gleich wieder vergessen.
Georg Schramm ist in meinen Augen ein großer Kabarettist unserer Zeit. Man spürt, wie Persönliches er in seine Rolle hineinsteckt. Er macht dies nicht zur Unterhaltung. Ich denke, er will wirklich, dass die leute nach Hause gehen und etwas mitnehmen von diesem Abend.
Eine Frage stellt sich natürlich noch (deren Patent nicht bei mir liegt): Warum brauchen wir in der heutigen Zeit Kabarettisten, um über diese Dinge nachzudenken? Warum bekommen wir das nicht von selbst auf die Reihe?
Diese Frage stellt sich Georg Schramm vermutlich auch!
Gedanken, Kommentare, Meinungen zu Aktuellem & Vergangenem oder einfach nur etwas, was wert sein könnte von aller Welt gelesen werden zu können.
Donnerstag, 21. Mai 2009
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1 Kommentar:
aus dem gleichen Grund aus dem wir Zeitungs-Kolumnen, TV-Dokumentationen und (selbst) Berufspolitiker brauchen. Das Leben ist dieser Gesellschaft ist zu kompliziert, zu vielschichtig, der Alltag zu mächtig. Wir brauchen Menschen die für uns mitdenken, uns aufmerksam machen, ihr Leben einem Sachverhalt, einem Problem widmen damit wir es nicht selbst tun müssen... Damit wir nicht selbst nach Afganistan fahren müssen und die Toten zählen oder bei einer Bank arbeiten damit mir den skrupellosen Kapitalismus spüren... So sollte es jedenfalls funktionieren.
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