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Donnerstag, 4. Juni 2009

Kahlschlag

Wozu benötigt man eigentlich Geisteswissenschaften? Also bitte, in unserer heutigen Zeit! In einer Zeit des schnellstmöglichen technischen Fortschritts, in der Ingenieure, Techniker, Wirtschaftsfachleute etc. gebraucht werden! Aber Literaturwissenschaftler, Historiker, Anglisten, Philosophen, Soziologen usw.? Die studieren nur ewig, diskutieren in dieser Zeit über sinnlose Themen und werden doch schließlich eh meistens arbeitslos!


Nicht selten hört man in Gesprächsfetzen solche Meinungen oder kann sie bei Smalltalks auf Partys zwischen den Zeilen lesen.

Das aktuelle und gestern erstmals in den Medien (von der Universitätsleitung so nicht geplante) veröffentlichte Vorhaben der Universität Stuttgart zielt aber geanu in diese Richtung.
Es ist noch nicht lange her, da wurde die Geographie auf das Abstellgleis geleitet.
Nun sollen 24 Professuren, 16 davon aus der Historisch-Philosophischen Fakultät, mittelfristig "umgeschichtet" werden, wie es der Rektor der Universität, Wolfram Ressel, so schön formuliert.

Was heißt das?
Da heißt, um bei einem meiner Studiengänge zu bleiben, dass die Alte und Mittlere Geschichte abgeschafft werden sollen sowie die Abteilung Landesgeschichte zu einer "Wissenschaftsgeschichte Baden-Württemberg" umfunktioniert werden soll. Der Plan ist, das technische Profil der Universität Stuttgart zu stärken, also die Geisteswissenschaften nach diesem technischen Schwerpunkt auszurichten; sprich ihrer Eigenständigkeit zu berauben!
Das Ganze natürlich im Sinne des Wettbewerbs mit den anderen Universitäten! Denn schließlich sei, so die Grundaussage Ressels, die Universität Stuttgart eben auch ein Wirtschaftsunternehmen!
Um solchen Aussagen entegenzusteuern, genau dafür z.B. brauchen wir Geisteswissenschaften!

Der Plan hat natürlich weitere Auswirkungen:
Stichwort Lehramtsstudiengänge - die sind mittelfristig dadurch gefährdet, denn es müssen ja zwei Fächer studiert werden. Was passiert, wenn hier eben die Geschichte nicht mehr zu studieren ist? Und das wird der Fall sein, denn zwei Abteilungen sind ja wie gesagt mittelfristig vor dem Ende.
Was heißt das für die Studierenden? Noch vollere Seminare. Hier bewegt man sich meiner Meinung nach aber jetzt schon deutlich über dem Limit: 40 oder 50 Teilnehmer für ein Hauptseminar sind entschieden zu viele, und dieser Zustand ist eigentlich schon nicht mehr hinnehmbar.
In der Anglistik werden, wenn es hoch kommt, zwei Vorlesungen im Semester angeboten! Im Vergleich zu Tübingen ein schlechter Witz!

Laut Aussage von Herrn Resser bei der heutigen Pressekonferenz gibt es schon in Kürze massive Einschnitte für die Studenten: Einen Bachelor-Studiengang könne man in absehbarer Zeit noch beginnen und zu Ende bringen, beim anschließenden Master würde es dann schon schwierig.
Was bedeutet dies?
Dies bedeutet, dass viele zukünftige Studenten einen Bogen um die Universität Stuttgart machen werden.
Was bedeutet wiederum das?
Das könnte dazu führen, dass die sinkenden Studentenzahlen in den Geisteswissenschaften in absehbarer Zukunft genau das Argument der Universitätsleitung sein sein wird, um die Geisteswissenschaften - oder einen erheblichen Teil - ganz abzuschaffen.


Gegen diese Pläne erhebt sich gerade massiver Protest seitens der betroffenen Fakultäten und hoffentlich auch vermehrt durch die Studierenden.
Ein Anfang war heute der spontane Einfall in die Pressekonferenz des Uni-Rektors mit symbolischen Müllsäcken. Auch aus den Aussagen einiger Professoren ging massive Kritik an den Plänen hervor.
Erfreulich ist zudem, dass die Presse dieses Thema seit gestern intensiv begleitet.

Einen Artikel der Stuttgarter Zeitung zu den Plänen und der heutigen PK, gibt es hier.
Außerdem einen Kommentar sowie die Stellungnahme der Geschichts-Fachschaft.


Ich hoffe, dass der Widerstand Wirkung zeigt. Denn die Geisteswissenschaften müssen ihre Wichtigkeit für die Gesellschaft nicht erst noch beweisen!

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